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Der Grundwasserspiegel unseres Daseins - Wie wir mit unserer Energie haushalten lernen

"Diese Erkenntnis führt zu einer radikalen Neuformulierung ethischer Verantwortung. Die Pflege unseres Grundwasserspiegels ist keine egoistische Selbstoptimierung, sondern eine fundamentale Voraussetzung für verantwortliches Handeln in der Welt. Nur mit einem vollen Energiesystem können wir jene Weite des Bewusstseins aufrechterhalten, die notwendig ist, um die komplexen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen."

MIKWE: Grundwasser im traditionellen jüdischen Bad
MIKWE: Grundwasser im traditionellen jüdischen Bad


Der Grundwasserspiegel unseres Daseins:

Eine Ökologie des inneren Energiesystems


Dr. med. Fridu H. Hemmerich (April 2025)


1. Die Landschaft unseres Body-Mind-Systems

Stellen wir uns vor, unser gesamtes Sein wäre eine Landschaft – eine lebendige, atmende Ökologie mit Bächen, die in sanften Mäandern fließen, mit blühenden Pflanzen und einer reichhaltigen Artenvielfalt. Diese Landschaft repräsentiert unser Body-Mind-System in einem idealen Zustand. Die Wärme ist gleichmäßig verteilt, die Spannung genau richtig – ein Eutonus (vom griechischen eu = gut und tonos = Spannung; ein Zustand optimaler Körperspannung). Druck und Gegendruck halten sich die Waage, und alles ist durchströmt von Leben.

Die innere Landschaft gedeiht, wenn vier elementare Kräfte oder Empfindungsdimensionen ausgewogen sind: Wärme, Tonus (Spannungszustand der Muskulatur und des Bindegewebes), Turgor (Gewebespannung durch Flüssigkeitsfüllung) und Strömung. Wenn diese vier Elemente in einer harmonischen Homöostase – einem dynamischen Gleichgewicht – existieren, erlebt unser Bewusstsein vier grundlegende Freuden: die Entdeckerfreude, die Lustfreude, die Fürsorgefreude und die Spielfreude.

Entdeckerfreude – die ursprüngliche Neugier, die uns antreibt, etwas herausfinden zu wollen, auch wenn wir nicht sofort erfolgreich sind. Sie ist die Freude am Forschen selbst, unabhängig vom Ergebnis.

Lustfreude – nicht in erster Linie als sexuelle Lust zu verstehen, sondern als fundamentale Freude, mit etwas in tiefer Beziehung zu stehen. Wie ein kleines Kind, das hingebungsvoll die Welt mit allen Sinnen erkundet.

Fürsorgefreude – die reine Freude am Sorgen für andere, ohne Kalkül, ohne gesehen werden zu wollen, ohne Abwägung, ob man selbst genügend Fürsorge erhält.

Spielfreude – nicht das Spielen mit Spielzeug, sondern die existenzielle Freude am Anderssein können. Was Aristoteles als “ethischen Imperativ des Menschen zum Anderssein” beschrieb – ein Grundbedürfnis, das nicht mit Selbstoptimierung zu verwechseln ist.

Diese vier Freuden sind tief in unserem Wesen verankert – fundamentale Ausdrucksformen unserer menschlichen Natur, die keinem Kind beigebracht werden müssen, sondern als ursprüngliche Potenziale in jedem von uns angelegt sind.


2. Der sinkende Grundwasserspiegel – Warnsignale im System

Doch was geschieht, wenn in dieser Landschaft etwas aus dem Gleichgewicht gerät? Die ersten Anzeichen sind subtil: Der Fluss beginnt zu versanden und zu verlanden, manche Stellen werden morastig. Einige Blätter färben sich bereits im Frühling gelb, die Artenvielfalt nimmt ab, manche Pflanzen können nicht mehr richtig gedeihen.

Um die wahre Ursache zu erkennen, müssen wir tiefer schauen. In unserer Metapher steigen wir hinab zu einem imaginären Judenbad oder einer Mikwe – einem Ort, an dem man mit dem Grundwasser in Kontakt kommt. Dort sehen wir: Der Grundwasserspiegel ist gesunken, manchmal um viele Zentimeter.

Wie in der Natur, so in unserem inneren System: Ein sinkender Grundwasserspiegel bedeutet eine Verringerung der verfügbaren Energie. Mit pragmatischer Leichtigkeit wischen wir frühe Warnsignale oft beiseite – “nur ein schlechter Tag”, “eine arbeitsreiche Woche”, “eine Grippewelle”. Doch irgendwann werden die Symptome unübersehbar.

Die Forschung zur Chronobiologie zeigt, dass unzureichende Energiereserven tatsächlich unsere Schlafarchitektur verändern können. Paradoxerweise brauchen wir zum Einschlafen und für einen erholsamen Schlafzyklus eine bestimmte Grundenergie. Fehlt diese, verschlechtert sich die Schlafqualität, was zu einer weiteren Energieminderung führt – ein klassischer negativer Feedbackkreislauf.

In unserem mentalen System weichen die vier Freuden zurück, und an ihre Stelle treten:

• Gereiztheit, Ärger, Wut oder sogar Hass – dort, wo die Entdeckerfreude war

• Angst und Sinnleere – dort, wo die Erkenntnisfreude existierte

• Trauer, Resignation und Schmerz – wo die Freude, in Beziehung zu stehen, verschwunden ist

Diese emotionalen Zustände sind keine ursprünglichen Probleme, sondern Symptome eines tieferliegenden Energiemangels. Oft versuchen wir verzweifelt, den Energiepegel wieder anzuheben, indem wir uns aufregen oder wütend werden – doch das ist wie ein halbtotes Pferd anzupeitschen. Kurzfristig mag es wirken, langfristig verschlimmert es die Erschöpfung.


3. Die innere Mikwe – Unser Energiekonto wahrnehmen

Stellen wir uns vor, wir würden gefragt: Wie viele Energie-Einheiten waren heute Morgen auf Ihrem Konto, als Sie aufwachten? Überraschenderweise können die meisten Menschen diese Frage intuitiv beantworten. Unsere Interozeption – die Wahrnehmung innerer Körperzustände – hat ein feines Gespür für unseren Energiepegel.

Die Neurologie bestätigt: Unser Gehirn verfügt über spezialisierte Rezeptoren zur Wahrnehmung innerer Zustände. Neuere Forschungen haben gezeigt, dass diese interozeptive Wahrnehmung – die Fähigkeit, innere Signale wie Herzschlag, Atmung, Muskelverspannungen oder Energiepegel zu spüren – direkt mit emotionaler Regulation und Wohlbefinden zusammenhängt.

Um diese abstrakte Wahrnehmung greifbarer zu machen, können wir eine Körperimagination nutzen. Stellen wir uns unseren Energiespeicher wie einen Stausee vor, der vom Fuß bis zum Beckenboden reicht:

• Bei vollem Energieniveau reicht das Wasser bis zum Beckenboden

• Bei halbvollem Niveau bis zu den Knien

• Bei gefährlich niedrigem Niveau nur bis zu den Fußknöcheln

• Bei vollkommener Erschöpfung ist nur noch eine kleine Pfütze bei den Fußsohlen

Für einen erholsamen Schlaf brauchen wir etwa 20% unserer maximalen Energie. Gehen wir mit weniger ins Bett, fehlt uns die nötige Kraft für eine gesunde Schlafarchitektur. Die Folge: Wir finden nicht in den initialen Tiefschlaf, bleiben in oberflächlichen Schlafphasen, und fallen erst in der Morgendämmerung in einen tiefen, fast komatösen Schlaf – aus dem wir gerädert erwachen.

Die wissenschaftliche Schlafforschung bestätigt: Eine ausgeglichene Energiebilanz ist essenziell für die zyklische Abfolge der Schlafphasen, besonders für den erholsamen Tiefschlaf und REM-Schlaf.








 
 
 

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